Joachim Renisch (Tanz für die Jugend)
Zertrümmerte Instrumente - nicht nötig
Der Mann, der die liebevoll bis ironisch "Kinderhops" genannte Veranstaltungsreihe "erfand", lebt heute als Pensionär in Nürnberg: Joachim Renisch, Stadtjugendpfleger in Siegen von 1960 bis 1968. Den ersten "Tanz für die Jugend" gab es, als sich die Beatles noch als unbekanntes Quintett durch den Hamburger "Kaiserkeller" schrammelten und die Siegerlandhalle erst im Bau war: "1960 haben wir in der Weißtalhalle angefangen."
Gar kein leichtes Unterfangen, wie sich Renisch im Gespräch mit der WR erinnert: "Damals gab es einen CVJM-Beschluss: Evangelische Jugendliche tanzen nicht - und wenn, dann nur mit ebenfalls protestantischen Altersgenossen." Der Vorstand des Stadtjugendrings wurde damals nach religiösem Proporz besetzt. Akteure waren von CVJM-Seite Horst Hellmann, für die Katholiken zeichnete Werner Schulte verantwortlich. Hellmann, so Renisch, habe beim Auftakt die Leiterin des Jugendamts, Charlotte Frey, zum Tanz gebeten und geführt: "Das war ein handfester Skandal."
Hazy Osterwald beim Bluna- Ball
Renisch ließ sich davon allerdings nicht bremsen - zum einen, weil der Zuspruch trotz aller Bedenken blendend war und weil ihm im Jahr darauf mit der Siegerlandhalle ein größerer und modernerer Veranstaltungsort zur Verfügung stand. Von nun an hieß es einmal im Monat für die Siegener zwischen 15 und 25 Jahren: "Auf zum Tanz für die Jugend" - schon ab 15 Jahren, weil absolutes Alkoholverbot herrschte. In der Regel spielte jeweils eine Gruppe, wobei die Oranien Street Sounders zunächst so etwas wie die "Hausband" Renischs waren. Hin und wieder wurden auch Musiker von auswärts engagiert, dann, so Renisch, sei der Andrang besonders groß gewesen: "Einmal hatten wir auf Wunsch der Jugendlichen eine Band aus Köln engagiert - als ich an diesem Nachmittag zur Siegerlandhalle kam, war der Platz davor schwarz vor Menschen. Das war etwa zu der Zeit, als die Who in Siegen auftraten - und wir konnten uns sagen: Wir haben es nicht nötig, Instrumente zertrümmern zu lassen. Wir bekommen die Halle auch so voll." Es gab auch Veranstaltungen mit dem WDR-Tanzorchester: "Die brachten meist einen Solisten mit." Vicky Leandros kam einmal mit den Rundfunkmusikern angereist - und der Herr Papa war immer dabei: "Der hat unheimlich auf sie aufgepasst. Keiner durfte ihr zu nahe kommen." Gut war auch die Zusammenarbeit mit einem Limonadenhersteller: "Einmal im Jahr gab es den Bluna-Ball - dort ist unter anderem Hazy Osterwald mit seinem Sextett aufgetreten."
Der Tanz für die Jugend war nur eine Facette in einem umfangreichen Programm, das Renisch trotz Geldmangels in den sechziger Jahren auf die Beine stellte. Er startete die Reihe "Jugend tanzt auch anders" für alle die, die dem "Kinderhops" entwachsen waren. Es gab den Jugendfilmclub sonntagvormittags im Apollo-Kino - "mit anschließender Diskussion". Und es gab musisch-sportliche Wettbewerbe, mit kulturellen Aufgaben, die in der Stadtbühne bewältigt werden mussten, dann mit sportlicher Betätigung im Stadion. Dazu kamen ein Jugendaustausch mit einem Ort namens Horthford in Yorkshire und das Tonstudio Siegen, dessen Mitglieder mit Mikrofon und Tonband loszogen, um Interviews zu lokalen Themen zu produzieren.
"Hausband von Mrs. Evelin Lear"
"Was meinen Sie: Braucht Siegen ein eigenes Haus für die Jugend?" lautete einmal die Fragestellung bei einer Tanzveranstaltung, und in Kaan-Marienborn, Trupbach und Achenbach wollten Hermann Pamp und Wolfgang Stolz am 1. April 1966 von Passanten wissen, was sie von der Eingemeindung ihrer Orte nach Siegen hielten.
Renischs größtes Projekt war allerdings der Aufbau einer VHS-Arbeitsgemeinschaft "Laienspiel" , die sich ab April 1965 umbenannte in "Die Laienbühne", AG für Amateurtheater der VHS Siegen. Akribisch hat Renisch in einem Album alle Inszenierungen von Frühjahr 1961 bis 1967 festgehalten: Besetzungslisten, Fotos, Zeitungskritiken, Gastspiele unter anderem in Spandau, Hannover und Herford. Mitten drin: Das Lustspiel "Retter kommt gleich", in dem die Oranien Street Sounders im Sommer 1966 in einer Westernbar, laut Besetzungsliste "als Hauskapelle der Mrs. Evelin Lear", zum Tanz aufspielten.
Joachim Renisch, gebürtiger Schlesier, ging 1968 nach Nürnberg, wo er mit der Eröffnung die Leitung eines Stadtteilzentrums in Langwasser übernahm und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1999 behielt. Die Kontakte nach Siegen sind nicht abgerissen: Die Familie seiner Frau lebt am Giersberg.